Scene Sciences #1: Victimhood Culture in der Hardcore-Szene – “linksgrünversiffte Gutmenschen”?!

Im heutigen Post möchte ich auf das Konzept Victimhood Culture nach Campbell et al. eingehen und dieses auf die Hardcore-Szene anwenden. Danach werde ich euch erzählen, was ich von diesem Konzept halte und welche Vor- und Nachteile dieses Konzept mit sich bringt.

Als Bemerkung am Rande: dieser Post wird nicht sehr akademisch sein. Als ich das erste Mal von diesem Thema hörte, bemerkte ich, dass die meisten Quellen, die es kritisch behandeln eher eine konservative Prägung zu haben und darauf basierend zu argumentieren scheinen. Das folgende sind meine Meinungen basierend auf meinen Erfahrungen in der Hardcore-Szene. Daher basiert meine Kritik eher auf der Theorie an sich und meinem logischen Denken. Ergo sollte man sich nicht allein auf diesen Post verlassen, sondern bei ernsthaftem Interesse akademische Quellen heranziehen und sich ein eigenes Bild schaffen.

Die Gesellschaft scheint sich immer mehr in zwei Seiten aufzuteilen, in denen eine “wir gegen sie”-Mentatlität vorherrscht, Bild von John Hain auf Pixabay

Der Weg zu Victimhood Culture

Campbell et al. vertreten die Auffassung, dass die moralische Kultur von Gesellschaften verschiedene Entwicklungsstufen durchlaufe und laut ihnen ist Victimhood Culture eine neue Stufe dieser Entwicklung (Campbell et al. 2018: 12). Ich werde zunächst die dem vorausgehenden Entwicklungsstufen darstellen.

Auf der ersten Entwicklungsstuffe stehen Ehrenkulturen oder “cultures of honour”. In einer solchen Kultur ist man aufgrund des gesellschaftlichen Verständnisses von Ehre gezwungen, mit Gewalt auf verbale oder non-verbale Übergrifflichkeiten zu reagieren: “members of honor societies are often expected to display their bravery by engaging in violent retaliation against those who offend them” (ebd.). Laut Cooney, auf wen sich Campbell et al. beziehen, wird in einer solchen Kultur erwartet, dass man seine Ehre verteidigt. Versäumt man dies, so wird das als persönliches moralisches Versagen interpretiert und man verliert an Ansehen (ebd.). Daher sind in einer Gesellschaft, in der dieses Verständnis von Moral vorherrscht, Menschen bereit, mit Gewalt gegen Beleidigungen vorzugehen, weil sie andernfalls für Untätigkeit geächtet werden könnten. Beispiele für solche Kulturen findet man in konservativen arabischen Staaten, sowie in der westlichen Hemisphäre in Form von Straßengangs. Auch in Staaten mit mangelnder oder nicht vorhandener rechtlicher Autorität findet man solche Kulturen (ebd.).

Laut Campbell et al. bildet die “Culture of dignity” auf deutsch ungefähr als “Würdekultur” zu übersetzen, die nächste Entwicklungsstufe.

Die beiden zitieren Berger et al., laut denen eine solche Kultur das genaue Gegenteil einer Ehrenkultur sei (Campbell et al. 2018: 14). Ferner bemerken sie folgendes: “Rather than honor, a status based primarily on public opinion, people are said to have dignity, a kind of inherent worth that cannot be alienated by others” (ebd.). In einer Würdekultur muss man also seine Würde nicht beweisen, da sie einem grundsätzlich nicht genommen werden kann. Statt seine Ehre also zu verteidigen, wird man laut Campbell et al dazu angehalten, Beleidigungnen nicht ernst zu nehmen und nicht zu vergelten. Die Polizei ist in einer solchen Kultur dafür verantwortlich, Konflikte zu lösen. Durch den Aufstieg von Rechtssystemen ersetzten Cultures of Dignity die Ehrenkulturen in westlichen Staaten zum größten Teil (Campbell et al. 2018: 15).

Das bringt uns schließlich zu Victimhood Culture.

Was ist Victimhood Culture?

Campbell ist der Auffassung, dass sich aktuell eine neue Stufe in der Entwicklung von Moral in Form von Victimhood Culture abzeichnet. Das Wort lässt sich wenig elegant als Opferschafts-Kultur übersetzen. Statt Diskriminierung hinzunehmen, wie es in einer Würdekultur der Fall wäre, suchen sich Opfer von Diskriminierung aktiv Hilfe und wehren sich gegen Diskriminierung (Campbell et al. 2018: 16). Man hebt also hervor, dass man Teil einer marginalisierten Gruppe ist und versucht, Vergeltung für darauf basierende Diskriminierung zu erfahren. Dieser Aspekt ähnelt Ehrenkulturen, da man dort ebenfalls nicht die Beleidigungen hinnimmt. Allerdings unterscheidet sich die Art und Weise, wie man in diesen beiden Moralsystemen auf Diskriminierung und Beleidigungen reagiert. In einer Victimhood Culture nutzt man keine Gewalt und sucht die Hilfe von Machtträgern, beispielsweise an einer Schule bei Lehrern, während man in einer Ehrenkultur Gewalt nutzen würde (ebd.). Zusammenfassend ist Victimhood Culture also ein Label für eine neue Entwicklung der moralischen Kultur von Gesellschaften, die sich von Ehren- und Würdenkulturen unterscheidet, da darin Opfer von Diskriminierung dazu ermutigt werden, diese nicht hinzunehmen und stattdessen Hilfe in der Öffentlichkeit oder bei Institutionen zu suchen. Kurzgefasst könnte man alles, das auf Diskriminierung reagiert, sie als solche bezeichnet und dagegen Position bezieht, als Victimhood Culture bezeichnen.

Campbell nennt hauptsächlich Beispiele aus Campusbewegungen. Als einige breiter aufgestellte Beispiele für Victimhood Culture könnten die “MeToo” und “Black Lives Matter”-Bewegungen genannt werden. Menschen nehmen die Diskriminierung und Unterdrückung nicht hin, sondern machen darauf aufmerksam und versuchen, Gerechtigkeit für deren Opfer zu erlangen, beispielsweise in Bezug auf die Weinstein-Fälle in Hollywood und Hatecrimes gegenüber schwarzen US-Bürgern.

Was hat das mit der Hardcore-Szene zu tun?

Die Autoren kritisieren in ihrer Arbeit das Konzept einer Cancel Culture. Ich stimme nicht mit allen ihrer Punkte überein, aber einige beschreiben die Probleme in der Szene recht treffend. Unter Cancel Culture versteht man, dass aufgrund problematischer Aussagen eine Person oder Marke in der Öffentlichkeit nicht mehr unterstützt und somit gecancelt wird (Vgl. Dictionary).

Victimhood Culture deckt sich mit den Werten der Hardcore-Szene. Man akzeptiert keine Diskriminierung, sondern wehrt sich dagegen und verurteilt diese. Das macht Sinn, denn warum sollte man Intoleranz tolerieren und warum sollte man Hassrede ignorieren? Allerdings kann dies eine einseitige und extreme Form annehmen und es kann eventuell eine Kultur der Ächtung entstehen, in der keine von der eigenen abweichende Meinung zugelassen wird.

Die Hardcore-Szene ist stark politisch und seit Anbeginn hatte sie bestimmte Werte. Man ist generell gegen Rassismus und Diskriminierung und dementsprechend tolerant, zumindest laut der eigenen Selbstauffassung. Obwohl Akzeptanz gepredigt wird, sind einige Menschen in dieser Subkultur recht intolerant und scheinen sich dessen nicht selbst bewusst zu sein. Dazu kommt, dass in einer Subkultur mit geteilten Grundwerten schnell eine Echokammer entstehen kann, in der man nur Gleichgesinnten ausgesetzt ist. Ich habe den Eindruck, dass das bei der Hardcore-Szene stark der Fall ist. Die folgenden Beispiele zeigen die Intoleranz in der Szene.

Straight Edge und Veganismus als Streitthema

When You're a Vegan and Haven't Told Anyone in 8 Minutes ...
Das typische (nicht der Wahrheit entsprechende) Cliché von Veganern

Es gibt eine Tendenz zu Intoleranz gegenüber Straight Edge Kids (Menschen, die sich entscheiden, keine Drogen zu nehmen) und darauf basierend entwickeln einige Anhänger dieses Lebensstils eine Abneigung gegenüber Menschen, die nicht auf diese Art und Weise leben. Man kann dies ganz gut mit Beschwerden von Nicht-Veganern gegenüber Veganern vergleichen. Es gibt zwei Seiten mit gegensätzlichen Ansichten, die sich gegenseitig radikalisieren. Menschen auf beiden Seiten werden für ihren Lebensstil von Anhängern der “gegnerischen” Seite angefeindet und entwickeln eine Antipathie gegenüber diesen Menschen. Dadurch könnten Leute, die diese Lifestyles noch nicht ausprobiert haben, basierend auf den genannten Konflikten und dem sich daraus ergebenden Verhalten mancher Menschen einen schlechten Eindruck von dieser Einstellung erhalten und daher entscheiden, nicht so zu leben. Dies ist ein Beispiel für Victimhood Culture, das verdeutlicht, wie Menschen, die sich für etwas einsetzen ironischerweise dazu beitragen können, dass andere eben nicht dieses Ideal verfolgen, da eventuell dessen Vertreter Ansichten, die von ihren eigenen abweichen, nicht länger akzeptieren. Dieser Konflikt geht aber von beiden Seiten aus. Veganer werden oft aufgrund ihrer Ernährungsweise provoziert und wenn sie darauf reagieren, gecancelt. Das kann wiederum dazu führen, dass sie Nicht-Veganer als Reaktion darauf canceln. Dieser Kreislauf wiederholt sich und beide Seiten werden intoleranter gegenüber anderen Meinungen. In diesem Fall tragen beide Seiten, Veganer und Nicht-Veganer dazu bei, dass der Dialog erschwert wird und verhärtet, da sie versuchen, sich gegenseitig zu canceln. Dasselbe trifft auch auf Straight Edge und dessen Gegner zu. Es betrifft nicht die ganze Szene, aber es gibt eine gewisse Tendenz zu diesem Problem.

Mangel an Diversität in einer diversen Szene

Wie bereits angesprochen, sind Menschen in der Hardcore-Szene laut eigener Auffassung tolerant. Das könnte vermuten lassen, dass die Szene recht divers aufgestellt ist. Dies ist allerdings nicht der Fall. Sie besteht hauptsächlich aus hetero cis-Männern. Bands mit queeren oder weiblichen Frontpersonen, oder gar komplett weibliche Bands sind hingegen immer noch der Ausnahmefall. Manche solcher Bands werden sogar dafür kritisiert, dass sie in ihrer Musik ihre Identitäten verarbeiten und dadurch den heteronormativen Status quo in Frage stellen. Trotz der feministischen und weltoffenen Selbstauffassung der Szene, habe ich das Gefühl, dass es dort an Repräsentation und Bewusstsein über diese Themen mangelt.

Die feministische Hardcore-Band “Sharptooth”, die eine weibliche Frontperson hat, wird unter ihren YouTube-Videos zum Beispiel zu einem lächerlichen Ausmaß kritisiert, lediglich weil sie in ihren Songs Feminismus verarbeitet. Die Menschen, die dies tun, sind weniger repräsentativ für die Szene, da sie sehr wahrscheinlich auch die Leute sind, die behaupten, Hardcore sei nicht politisch und man müsse Musik und Politik trennen. Allerdings verdeutlicht dies dennoch, wie gerade bei einem in der Szene etablierten, größeren Label, in diesem Fall, Pure Noise Records, einige der Zuhörer eine Tendenz zur Intoleranz zeigen. Dafür spricht auch die Like-/Disklike-Ratio ihrer Songs.

Bei manchen Kommentaren im unteren Bereich fühlt man Fremdscham

Ich denke, dies verdeutlicht das Problem mit modernem Diskurs: jeder hält an der eigenen Meinung fest und man akzeptiert keine Sicht, die davon abweicht. Die Kommentare unter den Videos der Band könnte man als Ausdruck davon bezeichnen. Die Band vertritt komplett positive Werte, aber da manche (Männer) ihre eigenen Ansichten nicht hinterfragen möchten, gibt es einen massiven Backlash, der in sexistischen Bemerkungen unter jeglichen Videos der Band zum Ausdruck kommt. Dies könnte man auch als Antwort von wahrscheinlich Konservativen auf Victimhood Culture auslegen, die nicht hinnehmen können, dass man ihre konservativen Werte in Frage stellt.

Eine Szene der Poser? Wo sind die politischen Statements?

Der Hauptpunkt, den ich bezüglich Victimhood Culture und Intoleranz in der Szene thematisieren möchte, ist jedoch die Blasenbildung und Entstehung von Echokammern. Es ist keine Seltenheit, zwischen Songs politische Statements zu äußern und auf Themen aufmerksam zu machen. Allerdings gibt es mittlerweile kaum noch Statements mit Substanz. Oftmals thematisieren Menschen lediglich Rassismus mit einer ähnlichen Tiefe wie: “Rassismus ist schlecht” oder sagen einfach nur: “Fuck the police”. Gerade Statements zu Rassismus sind oftmals wenig tiefgründig und rezitieren nur bereits etablierte Fakten.

Das ist ein großes Problem. Die meisten Leute bei einer Show werden schon wissen, dass Rassismus schlecht ist. Indem man dies aber wieder und wieder wiederholt, entleert man Statements ihres Zwecks und schafft eine Echokammer. Man mobilisert lediglich um zu mobilisieren und sich selbst zu inszenieren und weniger, um wirklich ein Statement gegen Probleme in der Welt zu setzen. In dieser Bubble haben die Statements keine Wirkung mehr und sie führen zu keinem Dialog. Ironischerweise kann das vermehrt undifferenzierte und unreflektierte Behandeln von diesen Themen also dazu führen, dass man eben nicht über das Thema spricht, weil niemandes Ansichten herausgefordert sondern immer und immer wieder rezitiert und bestätigt werden, es sei denn, man spricht neue Nuancen an und treibt wirklich einen Dialog voran. Der Großteil der Frontpersonen in der Szene schafft das jedoch nicht.

Das heißt allerdings nicht, dass man Rassissus und menschenverachtende Ideologien im Allgemeinen akzeptieren und nicht mehr thematisieren sollte. Im Gegenteil, wir müssen besser reflektieren und überlegen, wie wir diese Themen gezielt und effektiv ansprechen können.

Aufgrund der angesprochenen Probleme habe ich das Gefühl, dass die Hardcore-Szene stark in Richtung einer Cancel Culture neigt, in der man keine Ansichten akzeptiert, die nicht den eigenen entsprechen und diese ausblendet. Dies erinnert an Campbell et al.s Bedenken zu Victimhood Culture, dass diese sich zu einer Kultur der Ächtung entwickeln könnte, in der man keinerlei Ansichten zulässt, die von der eigenen als richtig wahrgenommenen Ansicht abweichen.

Aufbauend auf eigenen Erfahrungen kann ich sagen, dass es in der Szene eine gewisse Tendenz dazu gibt, dass Menschen kein Interesse mehr an einem Dialog haben und das ist ein massives Problem, da diese Einstellung zum Erfolg von Populisten beitragen kann.

Victimhood Culture gegen Rechtspopulismus

Überall auf der Welt kommen Rechstpopulisten an die Macht, indem sie an Menschen appelieren, die sich vom Establishment im Stich gelassen fühlen. Rechtspopulistische Parteien appelieren an dieses Gefühl des Abgehängt-Seins und schaffen Narrative, in denen sie außenstehenden Gruppen, wie Flüchtlingen, die Verantwortung an diesem schlecht wahrgenommenen Status quo zuschreiben. Dadurch fühlen sich Leute, die sich als selbst als abgehangen wahrnehmen, verstanden und können die Schuld an ihrer Lage von sich selbst auf andere projezieren. Das ist extrem problematisch. Populisten stellen die Realität falsch dar, allerdings ändert dies nichts daran, dass die Menschen, die solche Parteien wählen, dennoch oft ernste Probleme haben und sich nicht ohne Grund abgehangen fühlen. Wenn wir sie einfach canceln und nicht ihre Meinung, die zwar oft undifferenziert und uninformiert ist, zulassen, bestätigen wir diese Menschen in ihrer Einstellung. Laut derer sind diese Leute Opfer der “bösen Gesellschaft”, die nicht ihre Probleme ernst nimmt und ihre Bedenken gezielt abschaltet (cancelt). Dadurch werden diese Menschen erst recht Menschen wie Trump oder Bolsonaro wählen, wenn wir sie canceln.

Der Gesichtsausdruck ist ziemlich on point. Trump würde den Heligenschein bestimmt feiern. Bild von gfk DSGN auf Pixabay

Im öffentlichen Diskurs gibt es eine ähnliche Tendenz bezogen auf populistische Parteien. Diese stellen sich, wie zum Beispiel die AFD, als Opfer der Medien (“Lügenpresse”) und der etablierten Parteien dar. Wenn wir sie lediglich canceln, werden sie sich weiter als Opfer darstellen. Dementsprechend müssen wir im privaten und öffentlichen Raum einen Weg finden, gegen rechtspopulistische Strategien Position zu beziehen, ohne diese lediglich zu “verstummen”. Andernfalls werden weiterhin rechte Hassprediger die Rolle von Opfern spielen.

Kritik

Die Kritik gegenüber Formen von Victimhood Culture scheint eher aus konservativen Kreisen zu kommen. Ergo sollte dieses Thema differenzierter, nach Möglichkeit ohne parteibezogene Prägung betrachtet werden.

Jetzt wird es normativ: Ich finde es fragwürdig, zu erwarten, dass Menschen Diskriminierung hinnehmen sollen, da dies implizieren würde, dass dies in Ordnung sei, was jedoch nicht der Fall ist. Victimhood Culture in Form gewaltfreier Vergeltung und im Rahmen des Gesetzes sollte eine legitime Form zur Antwort auf Diskriminierung sein. Diskriminierung hat reale Konsequenzen und kann Leben zerstören, also kann man nicht erwarten, dass Menschen einfach darüber stehen und sich nicht verteidigen. Außerdem kann man Opfer von Diskriminierung, die sich dagegen wehren, nicht mit Linksradikalen und diese wiederum mit Rechtsradikalen gleichsetzen (Ja, Campbell tut dies implizit).

Ein interessanter Aspekt, den Campbell et al. ansprechen, ist jedoch, wie das Recht auf Redefreiheit als Ausrede für Hassrede genutzt wird. Er bemerkt, dass die Angriffe von Campus Victimhood Culture vermehrt von Gegenangriffen ideologischer Feinde anstatt Verteidigern der Redefreiheit gefolgt werden könnten (Vgl. Campbell et al. 2018: 242). Wenn man andere wegen Hassrede kritisiert, kann es also sein, dass diese sich als Verteidiger der Grundrechte präsentieren und diese als Ausrede für ihre Hassrede nutzen.

Campbell et al.s Ansatz kann hilfreich sein, um unsere Strategien im Umgang mit Rechstpopulismus zu verbessern. Wenn wir deren “Meinung” nicht mehr zulassen und komplett ausblenden, werden wir lediglich die Menschen mit einer solchen Einstellung in die Arme populistischer Parteien treiben und diese sicher nicht für eine weltoffene Ansicht gewinnen. Daher müssen wir uns unseres Sprachsgebrauchs bewusster sein und auf eine Art und Weise auf populistische Behauptungen reagieren, die deren Vertretern nicht ermöglicht, sich als Opfer darzustellen, während sie eigentlich die jenigen sind, die andere Menschen diskriminieren. Die Demokratie braucht einen Diskurs, also müssen wir diesen erhalten. Dafür spricht auch folgendes Zitat:

“Victimhood culture may triumph at colleges and universities while dignity culture withers away everywhere. The only opponents of victimhood in the larger society may end up being right-wingers who eschew dignity and are just as thin skinned and intolerant as the campus left”(Cambell et al. 242).

Genau, was oben beschrieben wird, müssen wir verhindern. Anders als Vertreter von Victimhood Culture, können Rechtspopulisten einen größeren Anteil der Bevölkerung ansprechen. Wenn diese dann wie bereits erläutert, die Position als “Bewahrer” der Meinungsfreiheit einnehmen sollten, wäre dies katastrophal, da ihre Position die Würdekultur, die in der breiten Gesellschaft verbreitet ist, ablösen und durch eine intolerante, rechte Moral-Kultur ersetzen könnten. Dem würde dann nur noch eine Victimhood-Kultur entgegen stehen und es gäbe wahrscheinlich keinen Dialog mehr, da sich beide Seiten lediglich gegenseitig canceln würden. Somit könnten sie weiterhin den Dialog verhärten. Vor zehn Jahren war nicht denkbar, dass jemand wie Trump Präsident wird oder sich jemand öffentlich so äußern kann wie er. Dies verdeutlicht, wie stark der Dialog verhärtet wurde und wir dürfen im “Kampf” gegen Rechtspopulismus nicht weiter dazu beitragen, dass sich der Dialog verhärtet, da wir ansonsten zur Strategie von Rechtspopulisten, wie oben dargestellt, beitragen würden.

Fazit

  • Victimhood Culture ist ein Label, das beschreibt, wie Menschen bei Diskriminierung Hilfe suchen
  • Sie könnte sich insbesondere in einer Subkultur, wie der Hardcore-Szene, in der viele Menschen ähnliche Ansichten teilen, potentiell zu einer Kultur der Ächtung entwickeln, in der keine andere Meinung zugelassen wird und man sich gegenseitig diskreditiert
  • Rechstpopulisten können davon profitiern, weil sie in die Opferrolle schlüpfen können, wenn sie durch die Gesellschaft gecancelt werden
  • das kann deren Wähler dazu ermutigen, sie weiter zu wählen, da es sie in ihren Einstellungen bestätigen würde, nach dem Motto: ” Wir sind Opfer der Gesellschaft, die uns cancelt und unsere Probleme nicht wahrnimmt, also wählen wir die rechstpopulistische Partei, die eine leichte Lösung bietet und uns versteht”
  • wir dürfen nicht einfach canceln, sondern müssen einen Weg finden, anderweitig mit Rechtspopulismus umzugehen, um die oben beschriebenen Probleme zu vermeiden.
  • Empathie könnte dazu beitragen, weil die Menschen ihre Gründe haben, Populisten zu wählen.
  • Prävention: Menschen dürfen gar nicht erst menschenverachtende Ansichten entwickeln und wir müssen verhindern, dass sich Rechtspopulisten die Ängste von Wählern zu Nutze machen können

Das waren meine Ansichten zu Victimhood Culture in der Hardcore-Szene. Wie immer läuft es darauf hinaus, dass man empathischer sein sollte. Wir müssen Position beziehen, dürfen dabei aber nicht Menschen, die “Opfer” von rechtspopulistischem Gedankengut werden, durch Canceln in ihrer Denkweise bestätigen. Stattdessen könnten wir versuchen, diesen Menschen klar zu machen, dass solche Parteien und Kandidaten nur ihre Ängste nutzen, um an die Macht zu kommen. Wie man gerade im Kontext der Corona-Krise sieht, haben Rechtspopulisten wie Trump, Bolsonaro und Johnson keine realen Antworten auf Probleme. Dennoch werden deren Unterstützer nicht empfänglicher gegenüber progressivem Gedankengut wenn wir sie schlichtweg canceln. Letzteres würde sie wahrscheinich nur weiter in die Arme der genannten Populisten treiben.

Position gegen Diskriminierung und Unterdrückung zu beziehen, heißt nicht, dass man sich als etwas Besonderes ansieht oder ein “Gutmensch” ist. Niemand sollte Sexismus, Rassismus oder Hassrede im Allgemeinen akzeptieren müssen. Davon abgesehen, lassen sich Menschen, die das Wort “Gutmensch” ernsthaft verwenden, sehr leicht triggern, also sollten sie nicht die Opferrolle spielen und so tun als seien “Gutmenschen” übertrieben sensibel. Wenn du ernsthaft das Wort “Gutmensch” benutzt, frage dich vielleicht einmal, was du tun würdest, wenn du in der Position der betroffenen Person wärst und diskriminiert werden würdest. Ich denke nicht, dass du damit zufrieden wärst.

Dieser Post war nur mäßig akademisch. Wenn ihr euch also für das Thema interessiert, könntet ihr diesen Post vielleicht als Anreiz verwenden, euch weiter in das Thema einzuarbeiten und euch eine eigene Meinung dazu zu bilden. Unten findet ihr meine Quellen. Dort findet ihr auch Hochschilds Aufsatz Strangers in their own Land. Anger and Mourning on the American Right. Darin versucht Hochschild, die Gefühle von Wählern populistischer Parteien nachzuvollziehen und tut dies auf interessante Art und Weise. Sie stellt deren Wahrnehmung der Gesellschaft als Warteschlange dar, in der Angehörige von Minderheiten weiter vorrücken dürfen, während Rechte weiter warten müssen. Es ist ein sehr interessanter Aufsatz, der hilft, das Mindset der Wähler Trumps nachzuvollziehen. Wenn ihr euch für das Thema interessiert, kann ich euch diesen Text herzlich empfehlen.

Als Bonus ist hier noch ein Song von Enter Shikari, der den aktuellen Diskurs und die vereinfachte Darstellung der Welt durch Rechtspopulisten gut zusammenfasst.

“Nuance aint nothing but a nuisance. You’re either good or you are evil. You play a prick and there’s no sequel. And that’s the will of the people”. -Alles Anspielungen an Schwarz-Weiß-Malerei durch Rechtspopulisten

Wie immer vielen Dank fürs Lesen.

-sovlpvnk

Quellen:

Campbell, Bradley; Manning, Jason (2018): “The Rise of Victimhood Culture. Microaggressions, Safe Spaces, and the new Culture Wars”. London: Palgrave macmillan. S.1-37, 249-265.

Dictionary: “cancel culture”. In: Dictionary.com, URL: https://www.dictionary.com/e/pop-culture/cancel-culture/ [01.05.2020].

Enter Shikari. “{ The Dreamer’s Hotel } (Official Video)”. Nothing is True & everything is possible, Silva Screen Records Limited, 2020.

Hochschild, Arlie Russel (2016): Strangers in their own Land. Anger and Mourning on the American Right. New York: The New Press.

Sharptooth. “Rude Awakening”. Clever Girl, Pure Noise Records, 2017.

Nächstes Mal bei sovlpvnk: Ein Asexuelles ABC: Was ist Asexualität?

https://sovlpvnk.com/2020/05/17/ace-rep-0-ein-asexuelles-abc-was-ist-asexualitat/

Published by sovlpvnk

On this blog, I talk about the alternative music scene and its ethics as well as LGBTQIAP+ -related topics. I mostly write about asexuality, political issues and their representation in media. Expect content in English and German once per month. Book and film reviews on my goodreads and letterboxd accounts: sovlpvnkblog and sovlpvnk.

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